Folge uns:

#Büchervitrine: Wer bin ich?

Bald Mitte Juni: die Herbstvorschauen türmen sich, es gibt wieder viele spannende Neuheiten zu entdecken. Die wichtigsten Frühjahrsneuheiten sind alle gelesen und empfohlen- dachte ich zumindest. Doch dann entdecke ganz unten in meinem Bücherstapel doch noch zwei ungelesene Bücher. Ob es sich lohnt, die noch zu lesen, jetzt, wo schon bald die Herbstneuheiten eintrudeln? Einen kurzen Blick kann man ja mal wagen....

Doch es bleibt nicht bei einem kurzen Blick; die ersten paar Seiten ziehen mich jeweils so in die Geschichte rein, dass ich nicht mehr aufhöre zu lesen, bis das Buch zu Ende ist. Zweimal Leseglück pur, zwei geniale Jugendromane, die ich euch unbedingt noch ans Herz legen möchte! Normalerweise würde ich euch die Bücher einzeln vorstellen, damit beide gebührende Aufmerksamkeit kriegen. Doch die Geschichten ähneln sich in ihrer Thematik so sehr, dass heute ausnahmsweise mal ein Doppelpack daraus wird.

In «Charlotte & Ben» von Erin Kelly geht es um zwei Jugendliche, die sich kennen, obwohl sie sich noch nie gesehen haben: Charlotte und Ben liefern sich epische Online-Scrabble-Duelle, aus denen bis jetzt immmer Charlotte als Siegerin hervorgegangen ist. Als Ben Charlotte eines Abends ganz unerwartet anruft und sich ihr Kontakt vom Internet immerhin schon ans Telefon verlegt, finden die beiden heraus, dass sie noch einiges mehr verbindet, als nur die Leidenschaft für das wohl bekannteste Wort-Spiel. Obwohl mehr als 2000 Kilometer zwischen ihnen liegen, haben sie sofort einen Draht zueinander, finden heraus, dass sie viel mehr verbindet als nur die Leidenschaft für das wohl bekannteste Wort-Spiel. Sie erzählen einander aus ihrem Leben, als würden sie sich schon ewig kennen. Allerdings hat das, was sie da einander erzählen, mit der Realität sehr wenig zu tun: sie stellen sich selbst in ihren Erzählungen als «eine bessere Version von sich selbst» dar, präsentieren sich so, wie sie gerne sein möchten. Das Beeindruckende an dem Buch ist, dass genau dieses Reden darüber, das laut Aussprechen, wer man gerne sein möchte, wie man sein Leben eigentlich führen und was man sich zu sagen trauen möchte, wovon man träumt, dazu führt, dass es den beiden gelingt, in ihrem Leben tatsächlich etwas zu verändern. Charlotte und Ben fühlen sich nun, so hat man den Eindruck, in gutem Sinne dazu verpflichtet, zu der Person zu werden, von der sie einander erzählen. Sie wollen einander nichts (mehr) vorgaukeln, einander nicht anlügen. Und so führt diese Freundschaft, eben erst entstanden und nur über Telefon stattfindend, dazu, dass Charlotte und Ben den Mut und das Selbstbewusstsein finden, aus alten Mustern auszubrechen, zu sich selbst zu stehen und ein bisschen mehr zu der Person zu werden, die sie gerne sein möchten.

Auch im Buch «Sicherheit ist eine verdammt fiese Illusion» geht es darum, herauszufinden, wer man wirklich ist. Mia und Jake sind-im Gegensatz zu Ben und Charlotte- keine Aussenseiter, keine Nerds, im Gegenteil. Sie haben beide einen Freundeskreis, sind mehr oder weniger beliebt, werden zu Parties eingeladen und kommen auch mehr oder weniger gut durch den Schulalltag. Doch dieses Ich, welches da nach aussen scheint, diese Person, die alle zu scheinen kennen, hat auch in dieser Geschichte nicht immer viel damit zu tun, wie es im Inneren aussieht, mit dem eigentlichen Ich, welches bei beiden tief versteckt ist und sich nur ganz selten zeigen darf. Beide haben ein Geheimnis, welches sie mit niemanem teilen, von dem sie aber beinahe zerrissen werden. Bei Mia ist es ihre Krankheit: sie kann keinen Schmerz spüren und begibt sich deshalb immer wieder selbst in Gefahr, da sie Risiken nicht abschätzen kann. Schon als Grundschulkind hat sie sich über zwanzig Mal einen Knochen gebrochen, sich geschnitten, gestossen, verbrannt. Das Schlimmste aber ist: die Krankheit hat dazu geführt, dass Mia ihre Mutter umgebracht hat. Das zumindest ist ihre Überzeugung, ihr Klotz am Bein, mit dem sie durchs Leben geht. Auf dem Weg zur Notaufnahme- einmal mehr hatte Mia sich mit einem Messer tief geschnitten- sind Mia und ihre Mutter damals mit dem Auto verunfallt, ihre Mutter kam dabei ums Leben. Wohin die beiden unterwegs waren, das hat Mia ihrem Vater nie erzählt, er weiss auch nicht, mit welcher Schuld Mia glaubt, leben zu müssen. Mia selbst hat nach dem Unfall beschlossen, nie mehr die Kontrolle über sich selbt und über ihr Leben zu verlieren. Sie hat einen Panzer um sich aufgebaut, will erst recht unverletzbar werden, nicht nur äusserlich, sondern auch was Gefühle betrifft. Auch Jakes Geheimnis hat viel mit Kontrolle zu tun: er trainiert wie besessen im Gym von Mias Vater, möchte Muskeln aufbauen, seinen Körper fit machen und unbesiegbar werden. Warum? Weil er zuhause einen alkoholkranken Vater hat, der seiner Familie schon mehrmals Gewalt angedroht hat. Jake ist überzeugt, dass der Tag kommt, an dem den Worten Taten folgen werden- und auf diesen Tag will er vorbereitet sein. Auch Jake bleibt alleine mit seinem Geheimins, hat noch niemanden von seinen Ängsten erzählt, davon, wie leid ihm sein Bruder und seine Mutter tun, wie gerne er sie von diesem Vater beschützen würde. Als Mia und Jake aufeinandertreffen, scheinen sie nichts gemeinsam zu haben, könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Hier die abweisende, zynische Mia, immer einen schrägen Spruch auf den Lippen, dort der hirnlose Muskelprotz, der nichts als Gewichte, Rekorde und sein Aussehen im Kopf hat. Oder? Mia und Jake kommen miteinander ins Gespräch und merken, dass sie wohl doch mehr verbindet, als sie es vermutet hätten. Es fühlt sich gut an, Zeit miteinander zu verbringen, sie haben das Gefühl, sich schon ewig zu kennen, gleich zu ticken. Und: ohne dass es geplant wäre und obwohl sie sich kaum kennen, vertrauen sie sich gegenseitig ihre Geheimnisse an! Auch in diesem Roman führt das Reden über Geheimnisse, über Abgründe und Ängste, das Anerkennen der Tatsache, dass das Ich, welches gegen aussen scheint, nicht viel mit dem wirklichen Ich zu tun hat, dazu, dass beide den Mut finden, sich diesen Dämonen zu stellen, die Angst zuzulassen und schliesslich auch hier der Person, die man eigentlich ist und endlich auch gegen aussen sein möchte, einen Schritt näher zu kommen!

Veröffentlicht am 13.06.2020

Kommentare

Zu diesem Beitrag wurde noch kein Kommentar erfasst.

Schreibe einen Kommentar:

Unterstützung und Förderung

Machen Sie sich auf die Reise in die spannende Welt der Kinderbücher und stecken Sie Kinder mit Ihrer Begeisterung an!