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#Büchervitrine: Home Girl

«Home Girl» von Alex Wheatle ist kein Buch für zart Besaitete, nichts für schwache Nerven und defititiv keine leichte Sommerlektüre. Und- auch das muss hier gesagt sein- die Sprache lässt wahrscheinlich manchen Erwachsenen leer schlucken! Beim Lesen merkt man aber ziemlich schnell, dass diese Sprache nicht verwendet wird, um sich bei jugendlichen Lesern und Leserinnen anzubiedern. Die Schnoddrigkeit und der Gebrauch von ordinärem Vokabular dienen Noemi, der Hauptfigur und Ich-Erzählerin dieses Buches vielmehr dazu, einen Panzer um sich aufzubauen, ihr Umfeld vor den Kopf zu stossen und von anderen Themen abzulenken. Und Themen, die zur Sprache gebracht und diskutiert, an denen gearbeitet werden müsste, gibt es jede Menge: Naomi hat mit ihren 14 Jahren schon so viel erlebt, dass es für ein ganzes Leben reicht! Die Mutter war depressiv und hat sich mit Tabletten das Leben genommen, der Vater Alkoholiker und nicht fähig, sich um sein Kind zu kümmern. Stattdessen hat sich Noemi umd den Vater gekümmert, neben der Schule gekocht, geputzt, gewaschen, eingekauft, die Wohnung aufgeräumt, um dem Sozialamt heile Welt vorspielen zu können. Sie hat dafür gesorgt, dass der Vater seine Medikamente nimmt, ihn zum Arzt gebracht, Rechnungen bezahlt, mit Behörden verhandelt. Und jetzt, nachdem der Jugendschutz die prekäre Situation endlich durchschaut hat und Noemi ihrem Vater weggenommen hat, soll sie sich plötzlich von irgendwelchen Leuten sagen lasse, was sie zu tun hat? Soll sich helfen lassen, sich an Regeln halten, sich bevormunden lassen? Nicht mit Naomi! Sie möchte kein Kind mehr sein, weiterhin selbst über ihr Leben bestimmen und schon gar nicht in einer Pflegefamilie wohnen oder sogar adoptiert werden! Um ihrem Unmut über die Situation kundzutun, macht Noemi Louise, ihrer Sozialarbeiterin das Leben schwer: bei keiner Pflegefamilie bleibt sie länger als ein paar Tage, immer wieder findet sie einen Grund, warum sie nicht bleiben kann. Sie verwickelt Louise in lange, anstrengende Diskussionen, mischt sich in ihr Leben ein, blockt ab, sobald die Gespräche oder Fragen zu persönlich werden. Doch dann landet Naomi bei einer neuen Pflegefamilie und hat zum ersten Mal das Gefühl, so etwas wie ein Zuhause gefunden zu haben. Colleen und Tony sind anders als die Eltern, die Naomi bisher kennen gelernt hat, sie gehen anders mit Naomi um und Colleen hat in ihrer Jugend selbst einige unschöne Erfahrungen gemacht, sie versteht Naomi wirklich, ist nicht geschockt über das, was sie über Naomi erfährt, verstummt nicht, ist nicht peinlich berührt. Ob es bei dieser Familie endlich ein Happy-End gibt für Noemi, ob sie es hier vielleicht zulässt, dass andere sich um sie kümmern, ob sie ein ganz 'normaler' Teenager zu sein?

«Home Girl» ist ein bewegendes, beeindruckendes und tiefgründiges Buch. Trotz oder gerade wegen der zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftigen Ausdrucksweise wächst einem Naomi sofort ans Herz. Das hat vielleicht mit dem Plüsch-Erdmännchen zu tun, dass sie überall hin mitnimmt und im Bett gerne an sich kuschelt. Oder mit der kindlichen Freude, wenn sie von Colleen, ihrer Pflegemutter, ein Lob bekommt, wenn ihr Vertrauen entgegengebracht wird, ganz ohne Vorbehalt. Auch der Umgang mit den Kindern ihrer neue Pflegefamilie, der Stolz, von ihnen bewundert und als 'coole grosse Schwester' bezeichnet zu werden, zeigt, wie weich und zerbrechlich Noemis Inneres in Wirklichkeit ist, wie sehr sie sich trotz aller Schnoddrigkeit und lauten Töne nach einer Familie, nach einem Zuhause und einem ganz normalen Teenagerleben sehnt!

Veröffentlicht am 19.05.2020

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